Film von Catherine Breillat: Die Zerstörung des eigenen Lebens

„Im letzten Sommer“ erzählt von der Macht der Verführung und der Lust an der eigenen Destruktivität. Der Film ist jetzt auf DVD erhältlich.

Eine Frau und eine junger Mann liegen nebeneinander auf einer Wiese.

Léa Drucker (Anne) und Samuel Kircher ( Théo) begeistern mit nuancierten Darstellungen Foto: alamode

Anne (Lea Drucker) ist eine Frau um die fünfzig, die alles hat: Sie ist eine erfolgreiche Anwältin, die nicht zuletzt junge Frauen energisch vertritt. Sie hat einen Mann, reich, Unternehmer, sie haben ein schönes Haus, zwei kleine Töchter, die haben sie, weil Anne keine Kinder bekommen kann, offenbar aus einem asiatischen Land adoptiert.

Ihr Mann Pierre (Olivier Rabourdin) hat aus erster Ehe noch einen Sohn, Théo, der bei der Ex-Frau lebt, fast volljährig ist – und privat und in der Schule Probleme macht. So zieht er zum Vater, in das schöne Haus, in die perfekte Welt von Anne und ­Pierre und den Mädchen. Damit ist der Keim der Zerstörung gelegt. (Samuel Kircher, der Sohn des Schauspielerpaars Irène Jacob und Jérôme Kircher, spielt diesen Théo in seiner allerersten Filmrolle grandios: rücksichtslos und verletzlich zugleich.)

In einer frühen Szene im Film haben Anne und Pierre vor dem Einschlafen Sex, freundlich, sachlich, kein großes Vorspiel. Sie versichert ihm, sie schätze seinen aus der Form gegangenen Körper, die Haut, das Fleisch, die nicht mehr die Festigkeit der Jugend besitzen.

Sie schildert dann, nicht hinterher, sondern beim Sex, wie um sich und Pierre damit zu erregen, wie sie als Teenager ein Mann faszinierte, der ihr uralt vorkam, sie versichert, dass sie gerade seinen verfallenden Körper begehrte – er war allerdings kaum über dreißig.

Der junge Stiefsohn

Anne ist attraktiv. Ihr Körper ist der einer fünfzigjährigen Frau. Dagegen steht der schlanke, schöne, tätowierte Théo, nackter Oberkörper bei der ersten Begegnung im Haus. Ein Bad im See, er taucht sie, sie taucht ihn, bald darauf wird er ihr drei Punkte in die Ellenbeuge tätowieren. So geraten die Körper, der junge des Stiefsohns, der nicht mehr junge von Anne, zusehends in einen Kontakt, der rasch seine Unschuld verliert. Bald darauf schlafen sie ein erstes Mal miteinander. Dann weitere Male.

„Im letzten Sommer“ (F 2023, Catherine Breillat). Die DVD ist ab rund 16 Euro im Handel erhältlich.

„Im letzten Sommer“ ist das Remake eines dänischen Films, „Königinnen“ von May el-Thouky, 2019 entstanden. Breillat übernimmt alle zentralen Motive, und doch ist das Remake ein ganz anderer Film. Ihre Anne ist opaker als die gleichnamige Protagonistin (von Trine Dyrholm gespielt) des Originals, die in der Affäre mit dem so viel jüngeren Mann vor allem Bestätigung ihrer verbliebenen Attraktivität sucht.

Die Sache geht dann viel dramatischer und moralischer aus. Breillat wählt ein ganz anderes, stiller giftiges Ende: Das Letzte, was man sieht, ist ein Ehering, der in der Abblende bis zuletzt funkelt.

Macht des Begehrens

Catherine Breillat, deren erster Film seit zehn Jahren das ist, ist keine Romantikerin. Sie sieht das Begehren, von Frauen, von Männern, als gewaltige, aber nicht als freundliche Macht. Sie ist die Frau, die einst den Film „Anatomie de l’enfer“, „Anatomie der Hölle“, gedreht und damit die Beziehung zwischen Männern und Frauen gemeint hat.

Sie arrangiert, sie beobachtet, sie bleibt insistent an ihrer Heldin ganz nahe dran und sie tendiert dabei nicht zum moralischen Urteil. Und so zeigt sie und folgt sie Anne, die in der Überschreitung mit gutem Grund gezogener Grenzen sehenden Auges die Zerstörung ihres Lebens riskiert.

Die entscheidende Frage ist, was Anne in Wahrheit genießt. Die amour ist fou, und Anne genießt ganz fraglos den Sex. Da ist die Lust an ihrer Macht der Verführung (und am Verführtwerden auch). Es scheint aber auch der Genuss der eigenen Destruktivität eine Rolle zu spielen. Ein schlimmer und schöner Abgrund, wohl auch für sie selbst kaum zu erklären. Die Art, wie sie sich zuletzt in einen noch viel schlimmeren Abgrund zu retten versucht, ist unendlich brutal. Breillat urteilt auch hier nicht. Es kann einem aber schon das Blut in den Adern gefrieren.

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