Nahost-Konflikt in der Jugendarbeit: Jetzt erst recht

Die Arbeit mit Neuköllner Jugendlichen ist seit dem 7. Oktober nicht einfacher geworden. Umso intensiver suchen mehrere Initiativen den Dialog.

Das Bild zeigt eine Straßenszene in der Sonnenallee

Berlin-Neukölln, Sonnenallee Foto: Imago/Ipon

BERLIN taz | Wie kann das funktionieren mit dem interreligiösen und interkulturellen Dialog nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober und allem, was danach passiert ist? Welche Möglichkeiten gibt es, sich überhaupt zu begegnen und mitzubekommen, wie es den anderen geht? Diesen Fragen stellten sich am Donnerstag drei Initiativen aus Neukölln, die sich im Bezirk gegen antimuslimischen Rassismus und gegen Antisemitismus engagieren und dabei vor allem mit Jugendlichen arbeiten.

„So oft baden wir das aus, was Politik und Medien verbocken“, sagt Clara Debour auf dem Podium im Nachbarschaftshaus am Körnerpark. Debour ist Lehrerin an der Gemeinschaftsschule Campus Rütli und organisiert dort außerdem den „Nahost-Kurs“ mit. Der geht über zwei Schuljahre, in der 9. und 10. Klasse, zwei Stunden die Woche.

In Workshops vermitteln und vertiefen sie und ihre Kol­le­g*in­nen darin Wissen über die Geschichte und Hintergründe des Nahostkonflikts. Dazu gehört auch, so Debour, dass sie mit den Schü­le­r*in­nen intensiv darüber diskutieren, was diese in den Medien und Sozialen Medien dazu mitbekommen, und über biografische Erfahrungen sprechen.

„Wir haben viele Schü­le­r*in­nen mit palästinensischem Hintergrund. Die bringen auch viel Wut und Trauer mit, und dafür braucht es auch Raum. Wir versuchen, ihnen den zu geben, neben dem eh schon vollgepackten Schulalltag“, sagt Debour. Wichtig sei ein wertschätzender Umgang.

Wie in der Gesellschaft allgemein erlebe sie dabei an den Schulen eine starke Polarisierung. „Es ist anstrengend, dagegen anzuarbeiten“, sagt sie. Deutlich werde aber eben auch, dass sich Schü­le­r*in­nen aus Familien mit palästinensischer Migrationsgeschichte häufig nicht gesehen fühlen. Mehr noch: „Sie fühlen sich nicht wohl in dem Land, in dem sie geboren sind.“ Die mediale Darstellung habe viele Probleme größer gemacht und Vorurteile reproduziert.

Der Imam und der Rabbi

Ender Çetin von meet2respect ist Imam. Gemeinsam mit einem Rabbiner besucht er Schulklassen. „Allein, dass wir da vorn zu zweit sitzen, das ist oft schon für viele eine Irritation und ein Aha-Effekt“, sagt er. Das Team sei bereits bis ins kommende Jahr hinein ausgebucht, die Senatsbildungsverwaltung fördert das Projekt. „Allerdings fördern sie einen einmaligen Termin“, sagt Çetin. „Da ist natürlich schon die Frage, wie nachhaltig wir tatsächlich wirken, ob eine Begegnung schon langfristig Einstellungen verändert.“

Probleme im Schulalltag würden oft dort auftauchen, wo die Schü­le­r*in­nen auf Leh­re­r*in­nen stoßen, die teils auch zu wenig Wissen über den Konflikt hätten, und einzig die Überzeugung, Deutschland stehe an der Seite Israels, gelten lassen würden. Da käme die eigene Geschichte vieler Schüler*innen, oft aus Familien mit Fluchterfahrung, zu wenig vor.

„Wenn die von ihren Leh­re­r*in­nen dann hören: Was soll das sein, Nakba? – dann hat die Schule sie schnell verloren. Sie suchen sich dann oft radikalere Stimmen auf Tiktok, die sie darin bestätigen: Ja, ihr seid die Opfer, und die anderen sind die Bösen, und es gibt nur eine Lösung“, sagt Çetin.

Basketball und Basteln gegen Vorurteile

Begegnungen schaffen oder – wie es im Po­li­ti­ke­r*in­nen­sprech gern heißt – Brücken bauen: Genau darauf setzt auch Shalom Rollberg. In dem Projekt spielen jüdische und israelische Menschen mit Jugendlichen aus dem Rollbergkiez einmal die Woche Basketball, außerdem gibt es eine von einer Jüdin und einer Frau aus dem Libanon angeleitete wöchentliche Bastelrunde, daneben ein persönliches Mentoring-Programm. Man wolle einen „niedrigschwelligen Kontakt“ anbieten, so Josefin Prescher von Shalom Rollberg.

Das Projekt sei im Rollbergviertel südlich der Karl-Marx-Straße inzwischen bekannt, sagt Prescher. „Diejenigen, die zu uns kommen, wissen, dass sie zu Menschen mit jüdischem oder israelischem Hintergrund gehen.“ Und unter denen, die sich bei Shalom Rollberg wiederum engagierten, seien „strikte Antizionisten“ vermutlich fehl am Platz.

„Wir wollen ja gerade eine Normalität im Umgang mit Israel und darüber auch Akzeptanz schaffen“, sagt Prescher. Sie betont, dass das Projekt auch nach dem 7. Oktober ununterbrochen weitergelaufen sei. „Einige unserer Freiwilligen kamen sogar zu uns mit so einer Haltung: Jetzt erst recht.“

Sorgen und Provokationen

Organisiert hatte den Abend unter dem Motto „Nahost in Neukölln“ die Bürgerstiftung Neukölln, die es sich auch zur Aufgabe gemacht hat, an einer „zukunftsfähigen Gesellschaft“ mitzuarbeiten. Wie schwer das ist mit Dialog und Begegnungen und Brückenbauen abseits der vorgestellten Projekte, zeigt sich auch an diesem Donnerstag in der offenen Diskussion zum Ende der Veranstaltung.

Das Problem: Brücken bauen schön und gut. Aber das scheint kaum zu schaffen, wenn selbst moderate Wortmeldungen von Menschen mit palästinensischem Hintergrund zum Nahostkonflikt schnell als tendenziell antisemitisch abgekanzelt werden. „Nicht alle Kritik an Israel ist antisemitisch. Wir sehen wirklich mit Sorge, wie Menschen teils Angst haben, sich überhaupt noch zu äußern“, sagt eine Zuhörerin der Runde.

Wie sie denn damit umgehe, wenn Jugendliche vorab eine bestimmte Positionierung als Bedingung einfordern, um überhaupt an den Projekten teilzunehmen, will jemand aus dem Publikum wissen. „Klar, das kommt vor, dass jemand mal provozieren will“, sagt Lehrerin Clara Debour. Sie versuche dann nachzufragen, wo das herkommt. „Aber es ist ja nicht unsere Aufgabe, etwas vorzugeben. Sondern den Schü­le­r*in­nen viele verschiedene Perspektiven zu zeigen. Auch solche, die sie vorher gar nicht berücksichtig haben. Und auch solche, die vielleicht nicht meine sind.“

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